Tanz der Geschlechter

aus CHI 05/21

Klaffende Gender-Gaps, himmelschreiende Geschlechterungerechtigkeit und lebenslange Ungleichbehandlung? Oder eine lang anstehende Versöhnung und Vertöchterung der Geschlechter? Ein Symposium
mit dem Titel „Es gibt nur ein Boot“ lieferte im Herbst 2021 spannende Impulse im Gender-Diskurs.

Organisiert wurde die eintägige Veranstaltung in Wien vom Verein twogether.wien, der sich für ein faires und wertschätzendes Miteinander der Geschlechter einsetzt. Frauen für Frauen und Männer für Männer – das kennen wir zur Genüge. Aber es sei wichtig, dass sich auch Frauen für Männer und Männer für Frauen stark machen und letztlich Menschen für Menschen, so twogether-Gründer und Autor des Buches „Der Eisberg des Gender-Gap“ Klaus Podirsky in seiner Eröffnungsrede.

Gleich gibt es nicht

Dass sie eine absolute Gegnerin von Gleichbehandlung wäre, betont gleich die erste Speakerin des Symposiums, Trainerin und Autorin Monika Herbstrith-Lappe. Die studierte Physikerin und Mathematikerin konnte an ihren eigenen Kindern – einem Sohn und einer Tochter – lernen, was es bedeutet, Kinder wertschätzend und fair, aber keinesfalls gleich zu behandeln. „Schluss mit der Ungerechtigkeit der Gleichbehandlung“, so ihr Ansatz. Auf die Frage ihres Sohnes, ob sie beide gleich lieb habe, fand sie eine gute Antwort: „Ich hab Dich Tim-lieb und Deine Schwester Hanna-lieb“. Es gehe darum, die Unterschiede wahrzunehmen und Kinder darin zu unterstützen, sie selbst sein zu dürfen und nicht, bestimmte Geschlechter-Rollen erfüllen zu müssen. Ihr eigener Weg ließ sie vom artigen Mädchen zur einzig-artigen, eigen-artigen und eigen-sinnigen Persönlichkeit reifen, der eines besonders wichtig sei, nämlich Rückgrat zu zeigen.

Warum Männer Frauen wollen

Auch Trendforscher Matthias Horx plädiert dafür, den Unterschied der Geschlechter zu feiern. „Wir sollten uns die Mann-Frau-Erfahrungen nicht nehmen lassen“, der Tanz der Geschlechter sei spannend und nötig, so der profilierte Zukunftsdenker. Auch wenn es vieles komplizierter machen würde, alte Rollenbilder aufzubrechen, sei es an der Zeit, dass neue flexible Gender-Rollen die konservative Rollenverteilung ersetzen. „Nur mit Männern geprägte Unternehmen sind unerträglich“, findet Horx klare Worte und spricht dabei von seinen eigenen Erfahrungen in männerdominierten Firmen. Statt einer gesetzlich erzwungenen Frauenquote sollten wir da hinkommen, dass Männer in einem Unternehmen klar äußern würden, dass sie keine Lust hätten, nur mit Männern zu arbeiten, da die weiblichen Qualitäten fehlen würden.

Was Frauen von Männern wollen

Aber was ist es, was den Unterschied ausmacht und was uns am anderen Geschlecht so fasziniert? Gabriele M. Hochwarter weiß als Psycho-Neuro-Immunologin und kaschmirische Tantrikerin nicht nur um die biologische Programmierung, bei der es um Hormone und Fortpflanzung geht, sondern auch um das, was wir Frauen wirklich wollen. „Die Natur ist nicht nett!“, betont Hochwarter, aber ein Mann dürfe es für uns Frauen sehr wohl sein – allerdings nicht nur. Ein so genannter „Vira-Mann“ sei es, der weibliches Blut in Wallung bringen würde. Dieser brenne für etwas, sei präsent und vital, setze sich für etwas ein, sei lebendig und zu guter Letzt imstande, bedingungslose Liebe zu leben. „Wir brauchen Männer, richtige Männer, mit Profil und viel Gefühl“, röhrte Austro-Pop-Legende Stefanie Werger schon vor 30 Jahren und sang mit voller Kraft gegen „Machos, Chaoten und Penner an“.

Ultrazart und frei

Genau so einen Vira-Traummann scheint der deutsche Selbstverwirklichungs-Experte Veit Lindau zu verkörpern, der mit seinen flammenden Reden schon abertausende Frauen wie Männer in seinen Bann gezogen hat. Sein neuer Bestseller „Genesis“ ist ein inspirierender Aufruf zur Befreiung der Geschlechter.

„Wir leben in einer krass spannenden Zeit“, so der charismatische Coach. Außerdem würden wir erst am Anfang einer immensen Entwicklung stehen, was die Entfaltung unseres Potentials angehe. Es sei wichtig, die Rollen aufzubrechen, in die wir alle hineintrainiert wurden. Männer wie Frauen seien Opfer des Patriarchats. Er selbst wäre ein „ultrazartes“ Kind gewesen, das schon im Kindergarten ein „richtiger“ Junge sein musste, stark und kompetitiv. „Aber auf tiefster Ebene sind wir alle freie Wesen, und jeder von uns trägt männliche und weibliche Teile in sich“, so Lindau. Diese gelte es zu leben und zu integrieren. „Diese kolossal wunderbare Zeit zwingt uns zum Aufbruch“, motiviert er seine Zuhörerschaft und ruft sein Publikum dazu auf, nach den Sternen zu greifen, etwas Verrücktes zu tun und vor allem „seines“ zu finden.

Alles sein können

Wie kraftvoll Kinder ihren ganz eigenen Weg gehen, wenn man sie unabhängig von Klischees, Erwartungen und Geschlechterrollen in ihrem Sein unterstützt, davon erzählt Freibildungsexperte André Stern, der selbst nie in der Schule war, in seinem berührenden Vortrag. Der gebürtige Pariser versteht sich selbst als Vertreter und Botschafter von Kindern, die seiner Meinung nach von klein auf ungleich behandelt und diskriminiert werden.

Für Kinder sei es eine erstaunliche Erfahrung, wie wir Erwachsene die Welt einkapseln und in Konzepten denken, denn Kinder seien plural, für sie gäbe es tausende Geschlechter. Als Beispiel führt Stern einen dreijährigen Jungen an, der mit großen Mädchen im Ballett mittanzen wollte. Auf die von Erwachsenen erteilte Abfuhr, dass er dazu zu klein sei, rief er: „Aber ich bin groß!“ Als man ihm dann antwortete, das sei aber nur für Mädchen, meinte er „Aber ich bin ein Mädchen!“. In seiner Vorstellung konnte er alles sein, was er wollte. Aber er durfte nicht.

Männernöten Gehör schenken

Wie schief es gehen kann, wenn Männer nicht lernen, Schwäche zu zeigen, mit Emotionen umzugehen und über ihre Probleme zu reden, davon kann Gefängnis-Psychologin Sandra Gaupmann ein trauriges Lied singen. Von rund 9.000 Insassen in Österreichs Strafvollzugsanstalten seien nur drei bis vier Prozent Frauen.

Sie spricht sich dafür aus, dass Männernöte mehr in den Gesellschaftsdiskurs miteinbezogen werden. Nur so könnten traditionelle Strukturen und Gewalt überwunden werden. Männer müssten lernen, Gefühle auszudrücken und nicht immer der Starke sein zu müssen. Kränkungen und deren fehlende Aufarbeitung seien der Hauptgrund für Gewaltstraftaten.

Mehr Offenheit, Toleranz, Gefühlswahrheit, Gesprächsbereitschaft und Aufgeschlossenheit scheinen die Schlüssel für einen liebevollen Tanz der Geschlechter zu sein. Und auch ein guter Teil Selbstwahrnehmung. Wenn man sich darüber bewusst wird, wie man schon als Kind geprägt oder – wie Veit Lindau meint – „gebrainwashed“ wurde und wie das eigene Rollenbild aussieht, fällt es einem leichter, alte Muster abzulegen …

von Ines Hofbaur


Den ganzen Artikel in CHI Ausgabe #9 05/21 lesen

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