Waldbaden: Being Away

Der Wald ist in aller Munde. Nicht nur aus klimatechnischen Gründen. Auch aus gesundheitlichen Aspekten rückt unser Wald immer mehr in den Mittelpunkt. Was der Wald alles kann und wie man ihm begegnen kann? Wir waren mit Michaela Auer aus Arbesbach, Waldbaden-Trainerin nach ShinrinYoga, unterwegs.

Gleich vorweg: Der Wald bzw. das „Waldbaden“ ersetzt keine medizinischen oder therapeutischen Behandlungen. Aufenthalte im Wald können jedoch als begleitende Maßnahme äußerst positiv wirken, speziell in der gesundheitlichen Vorsorge, wie mittlerweile unzählige Studien beweisen. Dabei geht es vor allem um unsere Selbstheilungskräfte, die der Wald so wunderbar aktiviert.

„Wie es zu meiner starken Verbindung zum Wald kam? Ich bin in Arbesbach zuhause, schon immer war der Wald hinter unserem Haus „mein“ Wald. Stundenlang war ich dort unterwegs. Mein Zufluchtsort, wenn dicke Luft im Kopf herrscht. Und ja, immer wenn wo der Schuh drückte, kam der Rat von meiner Mama – „Geh in Woid!“ Auch meine Großeltern waren viel im Wald. Eher arbeitender Weise, aber dennoch — es wirkte, als wäre er ein spezieller Ort — auch für sie“, plaudert Michaela Auer über ihren Wald.

Die Verbindung von Mensch und Baum

Schauen wir unseren menschlichen Fingerabdruck einmal genauer an: Im Vergleich dazu betrachten wir die Jahresringe eines Baumes. Verdächtig ähnlich! Wir sind „Geschöpfe des Waldes“, sagt Wolf-Dieter Storl. Unsere fünf Finger sind Überbleibsel unserer Evolution, und stammen eigentlich von den Lurchen aus unserer Zeit im Wald. Auch der österreichische Baum-Experte Erwin Thoma erzählt von einem überraschenden Fakt: „Die Bauteile zwischen Mensch und Baum sind fast ident. Wenn man das Magnesium für Chlorophyll mit Eisen für Hämoglobin ersetzen würde, so ergäbe das Blut statt Chlorophyll im Baum!

Bäume sind seit rund 500 Millionen Jahren auf der Erde und damit zirka hundertmal länger als der Mensch. Alte Bäume Mitteleuropas haben ein Alter zwischen 300 und 600 Jahren erreicht und sind reich an Erlebnissen und Erfahrungen. Was macht dieses Bewusstsein mit uns? Der Baum ist dem Menschen näher, als es uns heute bewusst ist. Er steht aufrecht, wächst, vergeht, hat seinen Frühling, Sommer, Herbst und Winter. In seinen Wurzeln liegen die Ursprünge allen Seins — sie sind Ausgangspunkt für Wachstum, Basis, die am Boden hält, Garant für ein Überleben.

Der Mensch ›verliert den Boden unter den Füßen‹, ›ist entwurzelt‹ und desorientiert. Man spricht vom Stammbaum der Familie, befindet sich ›auf der Suche nach seinen Wurzeln‹. Wir streben nach dem Licht, wachsen in den Himmel und recken uns diesem entgegen. Und manch einer ist ›stark wie ein Baum‹ oder ›aus gutem Holz geschnitzt‹.

And into the forest I go to lose my mind and find my soul
~ John Muir ~

Einladung zum Wald inhalieren

„Wenn ich über den Wald rede, dann tue ich das natürlich am allerliebsten draußen in der Natur, im Wald“, erzählt Michaela Auer, die sich einen „Arbeitsplatz“ im Wald erträumt. „Wie verrückt ist es eigentlich, sich in geschlossenen Räumen Vorträge über den Wald anzuhören, wie gesund er doch ist, was dort für die Gesundheit alles versteckt wäre?“

Die Verbundenheit zur Natur sitzt uns in den Genen. Evolutionär gesehen haben wir fast die ganze Zeit in der Natur verbracht. Erst in den letzten 30 bis 40 Jahren hat sich sehr viel gewandelt. Doch dieses tiefe genetische Bedürfnis nach Natur haben wir immer noch. Sie ist unser Zuhause! Dort können wir aufladen und ankommen.

Wie weit ist es mit uns Menschen gekommen? Begriffe wie „Indoor Generation“ oder „Digital Detox“ prägen unsere Zeit. Wir streicheln tausende Male am Tag über Bildschirme, aber einen Baum zu streicheln oder ihn zu umarmen? „Oft schaut man sich um, ob einen eh niemand sieht dabei“, schmunzelt die Waldbaden-Trainerin. „Das ist doch wirklich schon sehr ver-rückt!“

Wer mit Bäumen sprechen kann, braucht keinen Psychiater.
Obwohl die meisten Leute das Gegenteil denken.
~ Phil Bosmans ~

 

Shinrin Yoku (Waldbaden) ist ein naturmedizinischer Ansatz, der in Japan und waldreichen asiatischen Ländern wie Korea und Taiwan auf eine lange Tradition zurückblickt, und in Japan und den USA eine von staatlichen Behörden anerkannte Therapie.

Aufgrund der hohen Zahl an stressbedingten Erkrankungen und Todesfällen nach dem zweiten Weltkrieg entdeckten japanische Forscher die Studie des schwedischen Psychologen Roger S. Ulrich. Er hatte nachgewiesen, dass sich die Genesungsdauer von Frischoperierten deutlich verkürzte, wenn diese vom Krankenbett aus in die Natur blicken konnten. Diesem Ansatz gingen die japanischen Wissenschaftler nach und gelangten zur Überzeugung, dass insbesondere das geballte Grün des Waldes heilsam sein musste.

Populär wurde Shinrin Yoku 1982, als das japanische Ministerium für Landwirtschaft, Forst und Fischerei eine Gesundheitskampagne startete, die Shinrin Yoku als effektive Methode zur Gesundheitsförderung und Stressreduktion thematisierte. Mehr zu Shinrin Yoku hier

Wegsein & Eintauchen

Das amerikanische Psychologen-Ehepaar Rachel und Stephen Kap-lan begründete den Begriff des „being away“. Gemeint sind damit Aufenthalte in der Natur, die den Menschen sehr schnell in eine gesunde Distanz zum Alltag bringen, denn hier verlieren alltägliche Probleme und Stressfaktoren zumindest temporär an Bedeutung. Hier spielen gesellschaftliche Werte, wirtschaftliche Vorgaben, Zeitlimits, Alter, Geschlecht, Aussehen oder sexuelle Orientierung keine Rolle. Willkommen im heilsamen Wald!


Die Gesundheit ist im Wald zuhause

Eine Reihe aktueller Studien zeigt auf: Alleine schon die Anwesenheit im Wald lindert Schmerzen, senkt den Blutzuckerspiegel bei Diabetes-Patienten, lässt Wunden schneller heilen, senkt Stress durch Beeinflussung der Hormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin, senkt den Blutdruck und hat viele weitere positive Effekte.

Bei einem Waldspaziergang kommen mehrere gesundheitsförderliche Prozesse in Gang: Die von den Pflanzen ausströmenden Duft-Botschaften (Terpene) beeinflussen Anzahl und Aktivität der Abwehrzellen, die Konzentration verschiedener Anti-Krebs-Proteine sowie viele andere Bereiche des Immunsystems.

In Studien wies man auch nach, dass bei Menschen die im Wald spazieren gehen deutlich mehr DHEA (Herzschutzhormon) im Blut zirkulierte, als bei Stadtspaziergängern.

„Waldluft ist ein Heiltrunk zum Einatmen“, schreibt Clemens Aray in seinem Buch „Der Biophilia-Effekt“. „Pflanzen kommunizieren direkt mit unserem Immunsystem und unserem Unbewussten, ohne dass wir sie auch nur berühren oder gar schlucken müssen. Es darf keine Klinik ohne Garten oder Zugang zu Wiesen und Wäldern mehr geben“, fordert Aray.

Vor allem die Terpene werden hier als förderliche Stoffe genannt. Terpene sind Naturstoffe pflanzlicher und tierischer Herkunft und bilden den Hauptbestandteil von ätherischen Ölen. Sobald wir den Wald betreten steht unser Körper im Austausch mit der gesamten Umgebung und wird zu einem Teil unseres Kommunikationssystems. Einige dieser Terpene – vor allem Limonene und Pinene, kommunizieren direkt mit unserem Immunsystem und sind anscheinend für eine immunsteigernde Wirkung der Waldluft verantwortlich.

Von Bäumen können wir viel und Wesentliches lernen: Nur wer einen festen Stand hat
und trotzdem beweglich bleibt, überlebt starke Stürme
~ Anke Maggauer-Kirsche ~

 

„Übrigens: die stärkste Konzentration befindet sich direkt auf Nasenhöhe. Nadelwälder weisen eine höhere Dichte an Terpenen auf, am intensivsten ist ihre Konzentration im Sommer, bei Nebel und bei Regen“, erklärt Michaela Auer.

Einladung: „Ver-rücke“ dich im Wald!

Wie „ver-rückt“! „Ja, ich gelte vielleicht als „ver-rückt“, weil ich einen Baum umarme. Ich umarme ihn nicht nur, ich streichle über die Rinden der Bäume, ich knabbere an Nadeln, ich esse im Frühling die zarten Buchenblätter, ich koste die leckeren Tropfen, die bei Regenwetter von den Nadeln rinnen und ich esse den Schnee, der auf den Zweigen aufgebauscht ist. Das habe ich nie getan, weil ich wusste, was das eigentlich alles kann. Es kam aus mir heraus, es entspricht ganz einfach meiner Natur, manche nennen es „Vogel“, aber ich fühle dabei, dass der Kopf ganz ruhig wird. So finde ich zurück zu meinen Wurzeln. Und wir brauchen Wurzeln um Flügel zum Abheben zu haben, hm?“

Michaela Auer will vor allem eines – vom Kopf wieder ins Herz bringen. „Am schnellsten gelingt mir dieser Schritt, wenn ich barfuß durch den Wald streune. Es ent-spannt in Windeseile und ist übrigens Steinzeit-Medizin! Ohne Schuhe – da ist die Aufmerksamkeit sofort beim Spüren am Boden, jeder Schritt ein achtsam wahrgenommener, einfach genial, so simpel und so günstig. Ich fühle mich jedes Mal so reich beschenkt von der Natur, wenn ich wieder heimkomme“, grinst sie, und verrät noch, dass sie sich dann zuhause meist schnell Socken anzieht, um im Haus keine Harzspuren zu ziehen …

Artikel aus CHI # 1 | Text und Fotos: Michaela Auer
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