Krise: Sprengstoff für Beziehungen

von Nicole Katzenschlager

Gerade jetzt, in so herausfordernden Zeiten, kann es auch in der Partnerschaft sehr stürmisch werden.

 

Einerseits muss ein Teil zuhause bleiben mit Home-Office, Home-Living und bei manchen sogar Home-Schooling. Andererseits müssen andere noch mehr arbeiten und sich Gefahren aussetzen, die sie an ihre nervlichen und physischen Grenzen bringen. Wir erleben im Moment alle existentielle Krisen und wenn die Partnerschaft bis jetzt nicht sehr stabil war, birgt sie noch eine weitere elementare Krise in der Beziehung. Beziehungsprobleme sind existentielle Krisen, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern vielmehr aus emotionaler Sicht.

Obwohl jede Partnerschaft einzigartig ist, gibt es doch bestimmte Grundprinzipien und Parameter, die alle Partnerschaften beschreiben.

 

Partnerschaften werden ganz wesentlich dadurch bestimmt, dass sie Nähe und Distanz sowie Neues und Vertrautes in die richtige Balance bringen sollten, damit sie die Beteiligten als erfüllend erleben. Unser aller Wunsch ist eine erfüllte, lebendige und nährende Partnerschaft, die den Stürmen des Lebens standhält!

Die Bindungstheorie¹, die Erkenntnisse aus Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung zusammenfasst, sagt aus, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen. Dieses natürliche Bindungsverhalten kann jedoch durch negative frühkindliche Erfahrungen gestört sein. Etwa durch Vernachlässigung, durch Schreien-lassen als Baby oder durch Isolation, wenn Kinder den Wünschen der Eltern nicht entsprochen haben. Andererseits aber auch durch Überfürsorglichkeit oder durch das Erzwingen von Nähe, obwohl das Kind dies nicht mochte, sowie noch viele weitere Gründe.

Aus solchen Erfahrungen entwickeln wir im Erwachsenenleben unterschiedliche Nähe- und Distanz-Bedürfnisse, und eine Partnerschaft auch nur in einem bestimmten Verhältnis von Nähe und Distanz funktioniert. Dieses Verhältnis kann nun durch die neue Situation ins Wanken kommen und im Extremfall sogar eine Trennung hervorrufen.

Zwei Hauptgruppen können sich nun zeigen

I. Sollten Sie schon vor der Krise ihre Beziehung innerlich gekündigt haben, gestehen sie es sich ein und bringen sie es ihrem Partner/ihrer Partnerin so schonend, aber so ehrlich wie möglich bei. Denn sonst schüren sie noch mehr Konflikte.

Hat ein Partner innere Distanz aufgebaut, ist es ein sehr durchgängiges Muster, dass er einerseits projiziert, also den anderen ständig verantwortlich dafür macht, dass er/sie nicht auf ihn zugehen kann, andererseits in ständige Ausreden des Rückzugs geht, um Nähe zu vermeiden. Dies bringt jedoch den anderen Partner psychisch wie physisch in einen extremen Stresszustand, der meist in nicht wahrgenommene Hilfeschreie nach emotionaler Sicherheit mündet. Für beide Partner ist dies eine große Belastung des Nerven- und Immunsystems.

WICHTIG: Seien Sie ehrlich! China weist bereits erste Empirie in die Richtung von steigenden Trennungen auf!

 

II. Das Verhältnis von Nähe und Distanz hat in ihrer Beziehung bisher funktioniert, kommt jedoch jetzt etwas in Schwanken.

Diese Paare haben große Chancen, dies zu bewältigen, indem Sie jetzt die Zeit nützen, den Partner/ die Partnerin anders und intensiver kennenzulernen. Es ist ein grundlegender psychologischer Effekt, dass Herausforderungen und Gefahren von außen Paare zusammenschweißen². Paare, die jetzt gemeinsam die Corona-Krise überstehen, werden auch künftig deutlich resilienter sein.

Da es nun mehr gemeinsame Zeit gibt, die Freizeitmöglichkeiten drastisch reduziert sind, wird auch die Sexualität wieder einen höheren Stellenwert bekommen, was unserer Gesellschaft rund um Weihnachten womöglich einen Babyboom bescheren wird.

Zusammenfassend sorgt die Corona-Krise dafür, dass jetzt alle Paare das „in guten wie in schlechten Zeiten“ mit Leben zu füllen haben. Viele werden daran wachsen. Nehmen Sie die Herausforderung an und geben Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin ihre Bereitschaft dazu.

Was können Sie tun

  • Deeskalation ist hier das Wichtigste. Deeskalieren Sie die Situation und dann sich selbst. Versuchen Sie, sich durch gewohnte Handlungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Am einfachsten geht das über die Atmung. Sie können ihre rechte Hand auf Ihr Herz legen, die linke auf Ihren Bauch, dann atmen sie 1-2-3-4-5 durch die Nase ein und 1-2-3-4-5 durch den Mund aus. Machen Sie das so lange, bis Sie merken, dass Sie wieder ruhig und sachlich mit der Situation umgehen können.Gehen Sie in sich und erforschen Sie, welches Bedürfnis Sie haben. Teilen sie es erwartungslos Ihrem Partner/Ihrer Partnerin mit. Wenn Sie Kinder haben, ist es wichtig, ihnen vorzuleben, wie Sie Konflikte bewältigen. Dann können auch sie sich entspannen, weil sie nicht aus einer systemischen Sicht „eingreifen müssen“.
  • Besprechen Sie Szenarien, wie Sie die unterschiedlichen Bedürfnisse von Distanz und Nähe neu organisieren. Gerade jetzt ist es wichtig, sich selbst und Ihrem Partner/Ihrer Partnerin gegenüber achtsam und fürsorglich zugleich zu sein. Erwarten Sie nicht, dass sich gleich das erste Szenario erfüllt. Geben Sie sich Zeit dafür und dem anderen die Sicherheit, dass keiner zu kurz kommt und kommen wird.
  • Mehr denn je sind nährende Rituale in der Partnerschaft wichtig. Hier eine Übungen, bei der es um gemeinsame Atmung geht. Stellen Sie sich gegenüber auf und reichen Sie sich die Hände, lassen Sie jedoch einen halben Meter Abstand. Die Aufgabe ist, einen Atem-Kreislauf zu bilden. Ein Partner atmet über die Nase/Mund ein und stellt sich vor über das Schambein auszuatmen, dann atmet der andere Partner in seiner Vorstellung über das Schambein ein und über Nase/Mund aus. Dabei müssen Sie sich aufeinander einstellen und ein Gleichgewicht bilden: Wie schnell oder langsam soll ich das machen, damit weder ich noch mein/e Partner/-in außer Atem kommt oder zu wenig Sauerstoff hat.Mit etwas Übung gelingt das. Paare in meiner Praxis sprechen auf diese Übung sehr gut an. Oft kommen Tränen der Berührung, weil sie sich wesentlich besser verbunden fühlen. Hier kommen beide auf ihre Rechnung, sowohl jene, die die Distanz mögen, als auch jene, die die Verbindung suchen. Ich erlebe danach oft eine innige Umarmung und einen Kuss.
  • Wenn Sie Probleme nicht selbst bewerkstelligen können, nehmen Sie Hilfe von außen in Anspruch. Je früher, desto besser. Das ist keine Schande! Das Angebot ist zurzeit sehr groß, da wir aus psychologischer Sicht wissen, dass Konflikte und Trennungen derzeit eine große Gefahr darstellen.Selbst wenn Betreuung derzeit nur online stattfinden kann, gibt es viele Informationen und Interventionsmöglichkeiten, die auch auf diese Weise sehr gut funktionieren. Sie sind es sich und ihrer Partnerin/ihrem Partner schuldig — glauben Sie mir!

¹ John Bowlby, britischer Kinderpsychiater und Mary Ainsworth, kanadische Psychologin
² Haidt, 2012
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