Dickdarm-Meridian: Nein, danke!

von Lis Kundegraber

Unser Darm ist jenes Organ, das viele Menschen mehr oder weniger beschäftigt und über den man in der Regel doch so ungern spricht. Der Dickdarm, am Ende unseres Verdauungsprozesses, übernimmt die
Kontrolle darüber, das, was nicht verwertbar ist, aus dem Körper zu transportieren. Er steuert den Zeitpunkt und entscheidet, auf welche Weise der Abschied vom Unbrauchbarem erfolgt.

Der Dickdarm. Viel mehr als reines Verdauen

Die vielfältigen Funktionen des Dickdarms in der chinesischen Lehre zeigen, dass sein Tun kein rein körperlicher Akt ist. Es geht hier um viel mehr, als um die Entsorgung von Nahrungsabfällen. Er ist es, der unseren geistigen Umgang mit den Themen Loslassen und Abgrenzen in die Körpersprache übersetzt. Der Dickdarm zieht eine klare Grenze zwischen dem, was bleiben darf und dem, was gehen muss.
In der TCM nimmt er daher eine überaus tragende Rolle ein. Denn schließlich geht es um die großen Fragen: Was darf bleiben? Was muss gehen?

Das große Potenzial des Dickdarms. Der Dickdarm ist der Meister der Abgrenzung und des Loslassens – nicht nur in körperlicher Hinsicht. Er ist auch jene Instanz, die NEIN sagt zu emotionalem und geistigem Müll, der nicht verarbeitet werden kann. Körper, Geist und Seele sind untrennbar miteinander verbunden. Bei kaum einem Organ erleben wir
unmittelbarer, wie eng alle Komponenten unseres Seins miteinander verwoben sind.

Auch im Westen gewinnt der Darm immer mehr an Bedeutung. So spricht man in Zusammenhang mit ihm vom zweiten Gehirn und dem Sitz unserer Abwehrkräfte. Es lohnt sich also, sich dieses Organ und das Element, in dem es sich entfaltet, genauer anzuschauen.

Loslassen und abgrenzen: Die Herbstthemen

Dickdarm und Lunge sind jene Meridiane, die in der TCM dem Element Metall zugeordnet werden. Auch der Herbst und die Trauer sind Qualitäten dieser Phase im Elementekreislauf. Alljährlich lassen im Herbst die Bäume das, was nicht mehr tragbar ist, los. Der Baum zieht sich in sich zurück, um sich vor der Kälte des herannahenden Winters zu schützen. Auch wir sind im Laufe unseres Lebens immer wieder aufgerufen, zu spüren, was wir nicht tragen können oder wollen. Rückzug, Abgrenzen, Loslassen sind nicht nur herbstliche Themen in der Natur, sondern auch in uns.

Trauer, der emotionale Aspekt des Metall-Elements

Es fällt schwer, wenn man einen lieben Menschen, eine Gewohnheit oder ein Projekt gehen lassen muss. Die Trauer darüber wollen viele Menschen oft nicht zulassen. In der TCM lehrt man jedoch: Jede Emotion
ist wichtig. So braucht auch die Trauer Raum und Zeit. Sich in der Trauer zu verlieren und sie zu manifestieren, tut jedoch nicht gut. Der Mensch gerät so ins Stocken und mit ihm die Bewegungen im Darm. Menschen mit einer gesunden Einstellung zum Leben und zum Abschied nehmen, bleiben auch in Phasen der Trauer im Fluss. Sie können sich nach einer gewissen Zeit wieder voll Vertrauen den schönen Dingen des Lebens und seinem Lauf hingeben.

Loslassen im Herbst des Lebens

Die Jahre nach der fruchtbaren Zeit entsprechen im Lebenszyklus dem Herbst und dem Metallelement. Nach der Phase des Sorgens können wir uns wieder vermehrt den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zuwenden. Gereift durch die Erfahrungen, die wir machen durften, zeigt uns der Herbst des Lebens, was wirklich wichtig ist. Wir spüren: Jetzt geht es um die Essenz. Jetzt ist es an der Zeit, das Leben so zu gestalten, wie wir es wirklich wollen. Auch hier trennt sich oft die Spreu vom Weizen. Alte Gewohnheiten, Konventionen und auch Menschen, die einem nicht gut tun, werden verabschiedet. Gut so, denn der frei gewordene Platz schafft Raum für Neues. Der zweite Frühling darf kommen.

Verstopfung & Co: Die Botschaften des Darms

Wie es um die Themen des Herbstes in uns bestellt ist, erfahren wir, indem wir einen Blick auf unsere Verdauung werfen. Pflegen wir einen gesunden Umgang mit dem Loslassen und Abgrenzen, kann der Darm seine Aufgabe optimal und ohne viel Trara erfüllen. Am besten tagtäglich und in den frühen Morgenstunden. Doch was, wenn nicht? Schlechtes Abgrenzen, ein verkrampftes Festhalten, JA statt NEIN sagen? Dem Dickdarm entgeht nichts von all dem und er bringt klar zum Ausdruck, wenn ihm etwas gehörig stinkt.

Wenn alles verstopft halten Menschen zu sehr fest an Mustern, Traditionen und Regeln, beginnt es sich im Innen zu stauen. Die Angst vor dem Neuen und vor Ablehnung ist oft riesig. Dann doch lieber den alten Strukturen vertrauen. Neue Wege bergen immer auch ein Risiko in sich. Wer weiß, ob man so ankommt? So fällt das Loslassen alter Gewohnheiten oft schwer. Mit der Zeit wird so jedoch auch die Verdauung immer schwerer. Der Dickdarm verkrampft sich und übersetzt die Sprache des Geistes auf den Körper: Festhalten. So wird schließlich auch die Verdauung zur Qual und zum täglichen Kampf.

Nein sagen? Lieber doch nicht.

NEIN-Sagen fällt schwer. Man möchte doch schließlich nicht enttäuschen, nicht anecken, aus Angst davor, weniger gemocht zu werden. Daher lassen viele Menschen viel zu oft zu, dass Grenzen verletzt und sie mit Dingen, die sie nicht wollen, zugemüllt werden. So häuft sich jede Menge Ballast im Inneren an. Dieser Haufen Fremdmüll entgeht auch dem schlauen Dickdarm nicht. Es kommt zur Stagnation und beginnt im Innen zu gären. Der Bauch bläht und auch die Gedanken werden trübe und schwer.

Durchfall – Das große Loslassen

Irgendwann, wenn all das nicht mehr tragbar ist und man es sich im wahrsten Sinne nicht mehr verkneifen kann, dann schießt der Dickdarm den ganzen Müll mit einem lautstarken NEIN in einem gewaltigen Befreiungsakt nach draußen. Ahhhh…!

Die Chance für einen Neustart? Ja. Wenn der Mensch für die Zukunft gelernt hat, dass es nicht dienlich ist, sich zu verbiegen, sich die eigene Meinung zu verkneifen und damit Schluss macht, an Dingen festzuhalten, die ihm nicht gehören und nicht gut tun.

Ein gesundes Nein für einen gesunden Darm

Das Gute bewahren, das Schlechte gehen lassen. Was so einfach klingt, ist für viele Menschen ein lebenslanger Prozess. Wurde es doch den wenigsten von uns in die Wiege gelegt, dass es gesund und wichtig ist, NEIN zu sagen und sich von dem, was nicht gut tut, abzugrenzen. Vor dem Nein sagen und Loslassen müssen wir eine klare Entscheidung treffen. Menschen mit einer ausgeglichenen Dickdarm-Energie spüren gut, was richtig oder falsch für sie ist und können danach auch entsprechend für sich entscheiden.

Es ist ein langer Weg, den der Darm in unserem Körper zurücklegt. Aufnehmen, verwerten, abgeben – ein täglicher Kreislauf und Prozess, der dazu dient, unseren Körper mit wertvollen Substanzen zu versorgen und gesund zu erhalten. Mitunter ist es auch ein langer Weg, bis wir erkennen, wie wichtig es ist, im Leben die Spreu vom Weizen zu trennen. Achten wir mehr darauf, was uns entspricht und sagen wir häufiger NEIN, nimmt nicht nur die Verdauung, sondern auch das Leben einen entspannten natürlichen Lauf.

Foto: Lis Kundegraber

Nase voll?

Der Dickdarm-Meridian verläuft vom Zeigefinger über Unter- und Oberarm und Hals bis zur Nase. Der Dickdarm hat laut TCM einen starken Bezug zur Nase. So kann auch eine verstopfte Nase Ausdruck dafür sein, dass einem etwas gehörig stinkt, man hat schließlich die Nase voll. Der letzte Punkt im Verlauf des Meridians mit dem wohlklingenden Namen Willkommener Duft unterstützt uns bei verstopfter Nase und bei Nebenhöhlenentzündungen. Er bringt an dieser Stelle auch hier wieder in Gang, was vielleicht ein nicht ausgesprochenes NEIN verschlossen hat.

So nährst und stärkst du den Dickdarm:

★ NEIN sagen, wenn du ein NEIN in dir spürst
★ Glaubenssätze hinterfragen
★ Vergangenes abschließen
★ Trauer Raum geben
★ Regelmäßige Mahlzeiten
★ Scharfes Essen in Maßen

Das dicke Ende – ein Happy-end?

Der Dickdarm steht für den letzten Akt im Verdauungsprozess. Er zeigt uns unmittelbar und tagtäglich, wie gut wir es vermögen, die eigenen Werte und Prinzipien zu leben, uns nicht zu verstellen und uns voll Vertrauen entspannt dem Lauf des Lebens hinzugeben. Die Sprache des Dickdarms ist laut und deutlich. Hören wir auf ihn und seine Signale, wird er es uns danken – mit einem Leben
im Fluss und einem starken Immunsystem.


Aus CHI 04/22

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